7. Mai 2014
Kurzes  Interview mit Hannes Schmid am Tag des Fotoshootings


Was verbindet dich mit HR Giger?

Ich war damals auch im „Rock’n’Roll“ als Hansruedi Giger plötzlich zu einem internationalen Star wurde– das war die Zeit von Alien. Das war für uns alle etwas ganz Außergewöhnliches: Ein Schweizer mit einer Vision und erst noch einer, der diese Vision auch umsetzt.

Am nächsten war mir Hansruedi Giger, als er mit Debbie Harry zusammen arbeitete. Ich war damals lange Zeit mit Debbie Harry  und Chris Stein unterwegs. Ich erinnere mich, wir haben oft  darüber gesprochen, ein Musikvideo zu produzieren – das gab es damals noch nicht.  
Hansruedi Giger hat dann mit Debbie Harry das erste Musikvideo produziert. Das war eine tolle Zeit.


Welchen Eindruck machen diese Häuser hier auf dich?

Zuerst hat mich Gigers Welt natürlich fast ein bisschen schockiert. Es war einfach zu viel. In einer ersten Reaktion lehnt man dann vieles einfach ab, man kann diese vielen Eindrücke eigentlich gar nicht verarbeiten. Aber dann muss man einen Schritt zurück machen und dann beginnt diese Welt wahnsinnig zu wirken.

Viele Künstler stellen Angst so dar, dass sich der Betrachter selber ängstigt. Ich glaube, Hansruedi Giger ist es gelungen, Angst so darzustellen, dass man sich nicht fürchten muss. Man fühlt sich auf einmal wohl in seiner Welt. Es braucht Zeit, aber das Gigersche Universum lässt dich nicht mehr los und zwar in einer positiven Art.

In den Werken von Giger spürt man eine grosse Kraft und man spürt, dass der Künstler in einer heilen Welt, in einer heilen Schweizer Welt aufwachsen durfte und dadurch die Möglichkeit hatte, sich zu öffnen und ganz tief einzutauchen, wie das nur ganz wenigen Menschen vergönnt ist.

Es ist Hansruedi Giger hoch anzurechnen, dass er den Mut hatte zu seiner Zeit, seine Kunst zu machen. Das ging komplett gegen die Gesellschaftsordnung. Im allgemeinen Verständnis war Gigers Kunst abstoßend, sie war eklig. Aber wie so oft: es braucht Zeit. Ich bin sicher, je grösser die zeitliche Distanz zur Entstehung wird, desto besser wird man sein Werk verstehen und schätzen lernen.   
 

Hast du irgendwo einen speziellen Zugang zu HR Gigers Kunst?

Hansruedi Giger war der erste Künstler der mit der Airbrush-Technik gearbeitet hat. Am Anfang noch mit einer Rasierklinge und einer Zahnbürste, später mit Spritzpistolen. Diese Bilder waren absolut faszinierend, man vermutete einen Druck und man konnte gar nicht glauben, dass man das von Hand machen kann. Seine Anfangswerke haben mich beeindruckt. Auch dass er die Möbel kreiert hat, dass man sich in seine "Alien-Welt" hineinsetzen konnte. Das hat mich geprägt, das hat viele Künstler geprägt. Er war mir ein Vorbild – vielleicht nicht in seiner Kunst – aber in der Art und Weise wie er war und wie er gelebt hat.


Weshalb?

Wir haben das alle ja auch ein bisschen gemacht, mit Betonung auf "ein bisschen", dass wir uns aus dem Fenster gelehnt haben. Aber natürlich nicht mit der gleichen Konsequenz. Er ist ja für Schweizer Verhältnisse buchstäblich aus dem Fenster gesprungen... Das brauchte viel Mut.
Es erforderte damals Mut, sich gegen die konservative Gesellschaft zu wehren und mit den damaligen Normen zu brechen. Das war der Rock'n'Roll der 70er Jahre, die Auflehnung, der Aufstand gegen die konservative Gesellschaft. Aber Hansruedi ging noch viel weiter: Er hat diesen Aufstand visualisiert und zwar in einer unglaublichen Tiefe. Das konnte nur er. Wir konnten das so nicht darstellen.

Ich bin zwar ein Mensch, der immer in der Fotografie tätig war, aber ich habe ja nie fürs Bild gearbeitet. Für mich war der Weg zum Bild immer viel viel wichtiger als das Bild selber. Ich habe viele Bilder in meinem Archiv, die ich gar nie angeschaut habe, das hat mich nicht interessiert. Ich sehe das hier auch ein bisschen, es geht nicht nur um das Bild an der Wand oder um die Skulptur im Garten. Es geht um den Weg dahin, das spürt man hier. Es ist etwas zwischen Zerfall und Neu und Wiederleben, Wiederauferstehen. Wenn man durch den Garten geht, ist das da alles drin. Das ist es, was er wirklich geschaffen hat. Hier geht es nicht nur um das Bild, das er gesprayt hat. Hier geht es um sein Leben. Das verbindet mich mit ihm. Etwas erleben war mir nie gut genug, ich wollte es leben. Das hat Hansruedi hier in seinen Häusern ganz extrem gemacht.  
Ich würde mir wünschen, dass diese Häuser hier immer bestehen würden und dass sie mit viel Respekt behandelt werden würden.
Als ich mir den Garten angeschaut habe, habe ich auf einmal festgestellt, dass die Bäume hier nach HR Giger wachsen. Diese Bäume wachsen alle so, als ob sie das hier bedecken, beschützen möchten. Sie bilden eine Formation, lassen in der Mitte einen Raum, um Licht hindurch zu lassen. Das fasziniert mich sehr.


Weshalb machen dir die Bilder von HR Giger keine Angst?

Ich denke, das hat mit den vielen verschiedenen Welten zu tun, in denen ich gelebt habe.
Diese Angst ist in uns - aber wir haben eine sehr starke Tendenz, unsere Ängste zu verdrängen. Das hat auch mit unserer religiösen Kultur zu tun, die diese Ängste ständig schürt. Und dann kommt auf einmal einer und stellt diese Ängste visuell so dar, wie wir sie uns auch vorstellen könnten. Das erfordert dann eine starke Auseinandersetzung mit dir selber, mit deinem Leben und wo du denkst, wo du einmal hingehst, mit dieser Realität, wo du dich auf einmal drin befindest. Hansruedi Giger zeigt uns ein Fenster. Er behauptet nicht, dass es so ist oder bei allen so aussieht, aber er fordert uns auf, solange wir hier auf dieser Erde sind, uns mit unseren eigenen Ängsten auseinanderzusetzen, weil irgendwann werden wir mit unseren Ängsten konfrontiert.
Ich finde sein Werk auch nicht pornografisch-erotisch, ich sehe seine Figuren nicht so. Aber daran halten sich viele auf und gehen dann nicht weiter. Deshalb ist es wichtig, dass man sich für die Kunst von Hansruedi Giger Zeit nimmt. Und man muss das, was man sieht, auf sich selber ableiten, auf seine eigenen Werte und Gefühle. Und dann kann eine unheimliche Veränderung stattfinden.