INTERVIEW MIT BELINDA SALLIN,
REGISSEURIN

 

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Wie sind sie auf den Titel gekommen?

Nach den ersten paar Malen, die ich in Oerlikon zu Besuch war, kam mir Hansruedi immer mehr wie ein Fixstern vor. Er blieb in seinem Haus und bewegte sich kaum hinaus. Höchstens ein feines Essen in einem guten Restaurant konnte ihn für ein paar Stunden weglocken. Oder natürlich seine Verpflichtungen wie ein Book-signing oder eine Ausstellungs-
eröffnung. Ansonsten blieb Hansruedi zu Hause, in seinem Heim, das sehr ungewöhnlich war.

Wer also Hansruedi besuchen wollte oder auch wer mit ihm eine Ausstellung plante, ein Buch herausgeben oder einen Film machen wollte wie ich, der musste nach Oerlikon. Dort sass dann Hansruedi, Herr seiner ganz eigenen Welt, am Küchentisch. Wie Satelliten kreisten seine Freunde, Assistenten oder Geschäftspartner um ihn. So fiel mir der Titel ein: Hansruedi, der Fixstern seiner Welt, ein dunkler Stern. DARK STAR –
HR Gigers Welt.

In den 70er Jahren gab es bereits einmal einen Film mit dem Titel Dark Star. Regie führte John Carpenter, Dan O’Bannon schrieb das Drehbuch. O'Bannon wurde Ende der 70er Jahre ein guter Freund von Hansruedi, er schrieb nämlich das Drehbuch für „Alien“. Als Ridley Scott sich auf die Suche nach einem Künstler machte, der sein Monster und den fremden Planeten zeichnen und gestalten sollte, zeigte ihm O'Bannon das Buch „Necronomicon“ von Giger. Ridley Scott sagte nur „That’s it“. Kurz darauf haben Scott, O’Bannon und Giger zusammen Filmgeschichte geschrieben. Es gefällt mir sehr, dass unser Filmtitel in gewisser Weise auch auf diese Zeit verweist. 

 

Mussten sie HR zu diesem Filmprojekt überreden?

Ich musste HR nicht überreden. Die Zeit war überreif für ein solches Filmprojekt. Darauf gekommen bin ich über Sandra Beretta, eine ehemalige Lebenspartnerin von HR. Sie hat mich ihm vorgestellt. Ich denke, wohl auch aus diesem Grund hat mir HR schnell vertraut.

Allerdings dachte HR zuerst, dass ich einen TV-Dokumentarfilm planen würde. Als ich ihm dann sagte, dass ich einen 90-minütigen Kinofilm machen möchte, war er etwas erstaunt und in seiner ihm eigenen Bescheidenheit fragte er mich, ob das denn auch angemessen sei, oder ob nicht andere Schweizer Künstler noch eher einen Kinofilm „verdient“ hätten. Ich sagte ihm dann, die Filme über die anderen Schweizer Künstler machen andere Leute, ich mache den Film über dich. Damit war die Sache geklärt und HR ausreichend überzeugt. Ich glaube, trotz seiner Bescheidenheit hat er sich sehr über das Projekt gefreut.

Ich war sehr glücklich, als sich im Januar 2012 Marcel Hoehn bereit erklärte, den Film zu produzieren. Aber die Finanzierung des Films war alles andere als einfach, häufig frustrierend und enttäuschend. Das hat das Projekt leider in die Länge gezogen. Abgesehen von einem Teaser-Dreh im Herbst 2012 (von dem ich einiges für den Film verwendet habe, da HR damals noch bei besserer Gesundheit war) konnte ich schlussendlich erst im Herbst 2013 mit den Dreharbeiten beginnen. Das machte mir natürlich Sorgen, da ich ja sah, dass sich der Gesundheitszustand von HR verschlechterte. 

 

Wie gefällt ihnen persönlich die Kunst von HR Giger?

Ehrlich gesagt, war das für mich ganz zu Beginn des Projektes eine grosse Frage: Wollte ich mich so lange und so intensiv mit dem Werk von HR Giger beschäftigen? Was würde das in mir auslösen?

Heute kann ich sagen, die Beschäftigung mit HRs Kunst hat sich für mich sehr gelohnt. Es war sicher ein Vorteil, dass ich bestimmte Bilder - gerade während der Dreharbeiten - sehr genau und intensiv betrachten musste. Auf diese Weise konnte ich mich auch wirklich auf die Bilder einlassen, meine eigenen Schwellen überwinden und Vorurteile und Voreingenommenheiten hinter mir lassen. Interessant war, dass mich die figurativen Bilder von HR immer wieder zu abstrakten, philosophischen Gedanken geführt haben. Oder auch zu sehr persönlichen: Welches sind meine Ängste? Was ist das Böse und wie zeigt es sich? Wie kann ich es überwinden etc.?

Wenn ich mich als Journalistin mit den Abgründen der Menschheit beschäftige, mit Krieg, Folter, Misshandlung und ähnlichem, dann habe
ich einen grossen Drang, möglichst viele Fakten zu sammeln, Zusammenhänge zu verstehen und manchmal ist mir das Grauen zu gross, als dass ich mich auf einer anderen Ebene damit beschäftigen könnte oder möchte. Die Werke von Hansruedi können dabei wie eine Brücke zu diesen Fragen fungieren. Dabei hilft wohl auch die Ästhetik seines Werks. HR visualisiert die Ängste so, dass wir uns nach einer Weile, wenn wir uns darauf einlassen, nicht mehr fürchten müssen, wir können sie annehmen.

Interessant fand ich auch, wie sich Werke von Hansruedi bei längerer Betrachtung veränderten: Plötzlich sahen seine auf den ersten Blick bösen Kreaturen nicht mehr ganz so böse aus, sondern vielmehr hilflos, einsam, bemitleidenswert oder auch schön und elegant. Ich finde es ausserordentlich, wie sehr Hansruedi die Dualität unseres Daseins zeigen konnte: Tod und Geburt, Eros und Thanatos, alles ist eins und bedingt einander.

 

Was sagen sie zum Vorwurf, die Werke von HR Giger seien sexistisch?

Einige Bilder sind zum Teil explizit sexuell aber in meinen Augen keinesfalls sexistisch. Wenn ich die Bilder sexistisch wahrnehmen würde, hätte ich diesen Film nicht machen können. Sexismus bedeutet für mich Abwertung und Diskriminierung einer Person aufgrund ihres Geschlechts. Das sehe ich in den Bildern von Giger nicht.

Ich kann verstehen, wenn sich Männer von den zahlreichen phallischen Symbolen bedroht fühlen. Oder wenn sich Frauen daran stören, dass die weiblichen Figuren bei Giger oft überhöht, schön, mystisch oder erotisch aussehen, in einem gewissen Sinne also Stereotypen bedienen. Aber wir können HR Giger so wenig wie jedem anderen Künstler den Vorwurf machen, dass er ein Kind seiner Zeit ist und dass er seine Frauenfiguren ausschliesslich „schön“ dargestellt hat. Wenn das kunsthistorische Kriterien wären, müssten wir wohl mehr als die Hälfte der Museen räumen.

Meines Erachtens weisen die Frauenfiguren und die Phallussymbole über das figürliche hinaus, zeigen Urtriebe oder Urkräfte der Menschheit. Ich kann da keine Ungleichheiten zu Gunsten oder zu Ungunsten eines Geschlechts entdecken. Ich sehe vielmehr, dass Selbstbestimmtheit und Emanzipation bei allen Figuren Gigers in den Hintergrund treten. So sind sie beispielsweise in eine unwirtliche Umgebung hineinkatapultiert, abhängig von Maschinen oder Exo-Skeletten, ohne die sie gar nicht existieren könnten.  Oder aber die Figuren sind vollständig eingebettet in einem grossen Kreislauf aus Sexualität, Tod und Geburt. Natürlich eckt Giger mit diesen Darstellungen an. Kaum ein anderer Künstler hat sich so intensiv mit diesen Tabuthemen und deren Verflechtung auseinandergesetzt.

So, denke ich, ist in der Betrachtung von Gigers Werk jeglicher männliche Chauvinismus genauso fehl am Platz wie der Vorwurf des Sexismus. Beide Wahrnehmungen treffen sich in ihrer Oberflächlichkeit und zielen am Kern vorbei.

 

Wie waren die Dreharbeiten mit HR Giger?

Ich empfand die Dreharbeiten als sehr speziell. HR Giger war gesundheitlich angeschlagen. Das hiess, dass er jeweils nur für ganz kurze Zeit zur Verfügung stehen konnte. Ich musste mir sehr genau überlegen, was ich von ihm wollte, welche Szenen ich unbedingt mit ihm drehen wollte. Wir haben die jeweiligen Szenen dann vorgängig immer detailliert im Team besprochen, teilweise sogar mit der Kamera durchgespielt. Interessanterweise wurden die Szenen mit HR dann – trotz Vorbesprechungen – für mein Empfinden immer sehr dokumentarisch, sehr authentisch. Wir wussten genau, es gibt diesen einen Take, keine Wiederholungen, keine Diskussionen oder weitere Regieanweisungen. Ich rechne es HR hoch an, dass er sich zwar nicht immer, aber doch häufig, nach meinen Wünschen richtete und oft pflichtbewusst seinen Teil erfüllte, um diesen Film realisieren zu können. Es war für ihn aber eine neue Erfahrung, dass ein Team so lange an einem Film über ihn arbeitete. HR hatte Dutzende von TV-Teams kommen und gehen sehen.  Ein paar Quotes, ein paar Einstellungen. Das war’s dann. So fragte er mich des Öfteren, ob wir denn noch nicht genug gedreht hätten. Aber schlussendlich brachte er für meine Ansprüche immer wieder Verständnis auf.

Nicht selten beschlich mich auf den Drehs das Gefühl der Endgültigkeit. So zum Beispiel als wir auf die Alp Foppa gingen. Irgendwie habe ich geahnt, dass HR da das letzte Mal an den Ort seiner Kindheit zurückkehrte.

Auch in Linz bei der Ausstellungseröffnung habe ich mich gefragt, ob er wohl noch viele solche Reisen machen würde. Ich weiss noch gut, wie ich meinem Produzenten sagte, wenn wir den Film über HR machen wollen, müssen wir diese Ausstellung filmen, vielleicht mag er solche Strapazen nicht mehr lange auf sich nehmen. Ich bin Marcel Hoehn sehr dankbar, dass er das Risiko einging und wir mit den Dreharbeiten, trotz prekärer finanzieller Lage, schon zu diesem Zeitpunkt beginnen konnten. Dass wir diese letzte Reise und die Ausstellung mit HR dokumentieren konnten, ist für den Film sehr wichtig.

Aber nie hätte ich gedacht, dass HR mit uns seinen letzten Besuch in seinem Museum erlebt. Eigentlich hatte er keine grosse Lust nach Greyerz zu gehen. Es war für ihn ja auch ziemlich anstrengend. Ich musste alle meine Überredungskünste anwenden. Schlussendlich kam er für einen kurzen Moment ins Museum, inszenieren wollte er rein gar nichts. Aber wir konnten ihn ein paar Minuten in seinem geliebten Spell-Raum filmen.

Während der Dreharbeiten habe ich mich mehr als einmal gefragt, ob es gut kommen kann, einen Film mit einem Protagonisten zu machen, der kaum mehr sprechen mag und sich der Welt mehr und mehr entzieht. Im Nachhinein, denke ich, macht vielleicht gerade auch das diesen Film aus. Das Filmen mit HR war sehr verdichtet, da gab es kein Zuviel, kein Ausschweifen, kein unnötiges Wort. Ich glaube, das merkt und sieht man den Bildern an.

 

Was hatten sie für eine Beziehung zu HR?

Unsere Beziehung war geprägt von gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Da HR oft müde war und auch nicht mehr so viel sprechen mochte, war es nicht so, dass wir stundenlange Gespräche oder tiefgreifende Diskussionen führten. Aber ich war oft für kurze Besuche in Oerlikon und wir haben uns immer sehr gut verstanden. Irgendwie hat die Wellenlänge gestimmt. Das ging auch ohne viele Worte.

Ausserdem hat er sowieso nie gern über seine Kunst gesprochen. Selbstironisch meinte er mir gegenüber einmal, dass er mit Reden alleine nicht weit gekommen wäre. Ich habe von Anfang an akzeptiert, dass das nicht sein Medium ist und ich andere Mittel und Wege finden musste, um diesen Film zu realisieren. Als HR das merkte, war er, glaube ich, erleichtert.

Bis zuletzt nahm ich HR als sehr höflichen, charmanten und aufmerksamen Menschen wahr. Dass er aus  gutbürgerlichem Hause kam, hat man seinen Manieren angemerkt. Er war das Gegenteil eines Rüpels. Das hat mir gefallen.

Natürlich habe ich seine andere Seite, die des Künstlers, der egoistisch seine Ziele verfolgt, nicht erlebt. Aber ich habe gesehen, wie ungehalten er reagieren konnte, wenn etwas nicht seinen Vorstellungen entsprach. Wenn etwa ein Bild nicht ganz so gehängt wurde, wie er wollte oder ein Lämpchen im Museum defekt war. Das mochte der Perfektionist ganz und gar nicht. Da konnte er ohne weiteres kehrtum machen und ein ganzes Filmteam stehen lassen. Das war u.a. einer der Gründe, weshalb der Dreh im Museum in Greyerz so kurz war. Das hat mich ein paar Nerven gekostet.

Schlussendlich hatten wir es aber auch häufig lustig. HR war ein äusserst humorvoller Mensch, der seine Arbeit und seine Kunst zwar ernst nahm, sich selber aber nicht allzu sehr. Ich weiss nicht, ob sein Humor, seine Bescheidenheit und seine Zurückhaltung bis zu einem gewissen Grad auch eine Alterserscheinung waren oder ob er immer schon so war. Interessanterweise habe ich diese Charaktereigenschaften in den frühen Filmen, zum Beispiel in jenem von Fredi M. Murer, der Anfang der 70er Jahre gedreht wurde, ebenfalls gesehen. Ein scheuer Künstler, der sich nicht gerne hervortut. Mit der grossen Publizität, die der Oscargewinn mit sich brachte, musste HR diese Eigenschaften wohl etwas auf die Seite schieben. Da wirkte er auf mich nicht mehr immer authentisch. Ich habe es sehr geschätzt, dass ich HR Giger im Alter wieder so antraf, wie ich ihn als jungen Giger in den frühen Filmen aus den 70er Jahren wahrgenommen habe. Authentisch, ohne Showgehabe, sehr ehrlich. Gut möglich auch, dass er Zeit seines Lebens so war, über die Medien aber anders kolportiert wurde. Das kann ich nicht beurteilen, da ich ihn erst zweieinhalb Jahre vor seinem Tod kennen gelernt habe.

 

Was hat sie persönlich am meisten an HR beeindruckt?

Dass er seine Träume verwirklicht hat. Ganz gleich, was die Leute dachten oder sagten. Ich kann ja nur erahnen, wie seine Bilder Ende der 60er und in den 70er Jahren auf die Betrachterinnen und Betrachter gewirkt haben. Egal. Er ging seinen Weg sehr konsequent.

Bildende Künstler haben mit Hollywood nichts zu schaffen? Egal. Er packte die Gelegenheit, seine Welt dreidimensional darstellen zu können.

Die etablierten Kunsthäuser wollten ihn nicht ausstellen? Egal. Er baute sein eigenes Museum, wurde gleichzeitig zum Schlossherrn und verwirklichte so noch einen Kindheitstraum.

Ich finde, einen solchen Weg zu gehen, ohne dabei hart (er musste mit vielen Vorurteilen umgehen können) und verbittert zu werden (die Anerkennung, die er sich gewünscht hat, hat er nicht bekommen), verdient viel Respekt.

 

Wie war es für sie, als HR während der Postproduktion des Films starb?

Traurig und trotz des Wissens um die gesundheitlichen Probleme von Hansruedi, schockierend.

Ich weiss, dass er sich auf den Film gefreut hat. Er hat mich mehr als einmal gefragt, wann er denn fertig sei. Es tut mir sehr leid, dass er ihn nicht mehr sehen wird. Natürlich hätte mich seine Meinung sehr interessiert. Er wäre sozusagen unser erster Zuschauer gewesen.

Es war emotional nicht einfach, wieder in unseren Arbeitsrhythmus zurück zu finden. Anfangs waren wir wie gelähmt. Es war auch seltsam, dass Hansruedi bei uns am Schnittplatz weiter lebte wie vorher, als ob nichts passiert wäre. Manchmal vergass ich schlicht, dass er nicht mehr da war.

Auf die Produktion an sich hatte es keinen grossen Einfluss. Wir hatten ja abgedreht. Sogar das Fotoshooting für das Filmplakat konnten wir - fünf Tage vor seinem Tod - noch realisieren. 
 

Was wollen sie mit dem Film erreichen?

Ich möchte einen offenen Blick auf den Menschen Hansruedi Giger und auf sein Werk ermöglichen. Ein Blick, der möglichst frei ist von Vorurteilen und Moralvorstellungen. Ein Blick, der die zahlreichen Klischees unterschiedlichster Couleur, mit denen Hansruedi zeit seines Lebens zugedeckt wurde, vergessen macht.

Ganz gleich wie man zu seiner Kunst steht, es lässt sich wohl nicht von der Hand weisen, dass HR Giger ein Ausnahmekünstler war, singulär, unverwechselbar und mit einer riesigen internationalen Ausstrahlung.
Auf der ganzen Welt hat er unzählige Menschen mit seiner Kunst berührt. In der Schweiz gibt es nicht viele Künstler, über die man ähnliches behaupten könnte. Ich fände es deshalb wünschenswert, wenn der
Film eine neue, unbelastete Diskussion über HR Giger und seine Kunst auslösen würde.